Vortrag auf der 1. Münchner Interdisziplinären Tagung für Promotionsstudierende.
Heiko Uecker bescheinigt dem mittelalterlichen Island, eine „reiche, geradezu überbordende Literatur [zu besitzen], die wie kaum irgendwo sonst an der Schnittstelle zwischen Anregungen von außen und Bewahrung des Eigenen anzusiedeln ist“ (2004, S. 7). Die ‚Anregungen von außen‘, das sind v.a. das Christentum, das den Nordgermanen in einem schleichenden Prozeß eher mühsam nähergebracht werden konnte, und die damit verbundene Gelehrsamkeit kontinentaler und britischer Prägung. Die Literatur sieht Uecker dabei als Mittel zur „Herausbildung und Konstruktion einer nationalen, kulturellen Identität“ (ebd.).
Zu den typologischen Invarianten der heidnischen und christlichen Kulturen Nordeuropas gehören Tabus. Konzepte, die mit diesem verhältnismäßig jungen Lehnwort, das durch die Reiseberichte James Cooks (1821) in den europäischen Diskurs gelangte, bezeichnet werden, sind bereits bei antiken Autoren für die germanischen Stämme nachzuweisen und keinesfalls nur auf die mit Entsprechungen von urgerm. *hailaγaz ‘heilig’ und *weihaz ‘geweiht’ bezeichneten Phänomene beschränkt (vgl. de Vries 1956, S. 276 f., Closs 1966, S. 79 f.). Das Christentum der Missionszeit zeigte sich anpassungsfähig und reagierte auf die regionalen Anforderungen sowohl durch Schaffung neuer, identitätsrelevante Praktiken betreffender Tabus als auch durch pragmatisches Gewähren von Spielraum.
In diesem Vortrag wird neben einer knappen Phänomenologie des Tabus eine Auswahl einzelner Tabuerscheinungen sowohl der heidnischen als auch der christlichen Kultur präsentiert.